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Der gerechte Lohn: Interview mit Diakonie-Chef Andreas Cramer

Viele Menschen können auch hierzulande kaum von dem leben, was sie verdienen – trotz eines Vollzeitjobs. Aber wonach bemisst sich eigentlich ein gerechter Lohn? Und wer ist dafür verantwortlich, ihn zu bezahlen? Volker Kiemle hat darüber mit Andreas Cramer, dem Direktor des Diakoniewerks Martha-Maria gesprochen.

Herr Cramer, was bestimmt den Wert der Arbeit aus Sicht eines Cramer_Andreas_2011Diakonie-Chefs?
Andreas Cramer: Nicht in erster Linie das Geld – und damit bin ich in guter Gesellschaft: Umfragen zeigen, dass für die allermeisten Menschen der Lohn nicht an erster Stelle steht, wenn es um die Zufriedenheit am Arbeitsplatz geht. Vielmehr ist das Allerwichtigste, dass die Arbeit sinnvoll ist. Weiter wichtig sind Wertschätzung, Gestaltungsmöglichkeiten, Humor und ein funktionierendes Team. Dann erst kommt der Lohn. In der Diakonie können wir genau das bieten: eine sinnvolle Arbeit mit und für Menschen, die wertgeschätzt wird und wo es auf gute Zusammenarbeit ankommt.

Wie bringt Martha-Maria den Mitarbeitern Wertschätzung entgegen?
Andreas Cramer: Die Mitarbeitenden sind das Wertvollste, das wir haben! Ich bin der Meinung, dass eine gute Arbeitsatmosphäre – dazu gehören die genannten Punkte, auch wenn man nie alles perfekt gestalten kann – heilende Wirkung haben kann. Ich kenne viele Mitarbeitende, die bei der Arbeit richtig aufgebaut werden. Positiver Stress bei der Arbeit kann auch aufbauen, sogar für den Umgang mit manchmal persönlichen Fragen und Sorgen.

Was ist ein gerechter Lohn?
Andreas Cramer: Das ist eine schwierige Frage. Zunächst gilt: Der Lohn muss auskömmlich sein. Es muss möglich sein, vom Einkommen eines Pflegemitarbeitenden eine Familie zu ernähren. Da gibt es eine Spannung, weil soziale Berufe in Deutschland eher mäßig bezahlt werden; vor allem die pflegenden Berufe werden nicht angemessen bezahlt. Das ist ungerecht. Auf der anderen Seite hat das Diakoniewerk Martha-Maria von 2011 bis 2015 die tariflichen Gehälter jedes Jahr im Schnitt um rund vier Prozent erhöht. Das sind 20 Prozent in fünf Jahren. Trotzdem sind wir noch nicht dort, wo pflegende Berufe sein sollten.

Warum ist das so?
Andreas Cramer: Die Ursache liegt bei den Kostenträgern und hier insbesondere bei den Kassen bzw. den Sozialhilfeträgern. Die Erlöse bei den Entgeltverhandlungen ziehen mit der Lohn- und Kostenentwicklung nicht mit. Deshalb geht die Schere weiter auseinander.

Was kann die Diakonie politisch tun?
Andreas Cramer: Die Diakonie, zum Beispiel das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung, macht eine gute Lobbyarbeit für die Anliegen der Diakonie und damit für die Anliegen der Pflege- und Hilfebedürftigen. Es gibt sehr viele Kontakte zu Politikern, Kassen und Verbänden. Naturgemäß ist die lautstarke öffentliche Kritik an bestimmten politischen Vorgaben eher verhalten. Deshalb wird diese Lobbyarbeit öffentlich nicht immer so wahrgenommen.

Was hat diese Lobbyarbeit erreicht?
Andreas Cramer: Zum Beispiel haben seit Januar 2015 im Bereich der Altenhilfe alle Bewohner Anspruch auf zusätzliche Betreuungskräfte. Somit werden zahlreiche weitere Angebote wie etwa Musizieren, gesellige Abende, kreatives Gestalten, intensive Betreuung und Begleitung für Demente ermöglicht. Auch Ausflüge sind bei Bewohnerinnen und Bewohnern sehr beliebt. Das Wohngruppenmodell wird dadurch sehr unterstützt.

Trotzdem ist immer wieder von Missständen in den Pflegeheimen die Rede. Warum?
Andreas Cramer: Wenn man so intensiv rund um die Uhr über Jahre Menschen pflegt, dann entsteht eine Art Lebensgemeinschaft auf Zeit zwischen Pflegern, zu Pflegenden und den Angehörigen. Da passieren auch Fehler. Und genau diese Fehler werden dann an die Presse getragen und hochgepuscht. Darüber geht verloren, dass zum allergrößten Teil Zufriedenheit und Dankbarkeit herrschen. Über das, was gut läuft, wird nicht berichtet.

Zurück zum gerechten Lohn: Wie kann dieser bestimmt werden?
Andreas Cramer: In der Diakonie haben wir ja den »dritten Weg«: Die Arbeitsrechtliche Kommission, die aus Vertretern des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer besteht, setzt den Lohn entsprechend der tariflichen Einordnung fest. Die Kommission verhandelt jedes Jahr über Lohnerhöhungen. Natürlich müssen die sich an den Entgelten orientieren, und die werden zwischen den diakonischen Einrichtungen und den Kostenträgern verhandelt.
Die Kostenträger müssten mehr für die Pflege zur Verfügung stellen, allerdings würden damit die Beiträge steigen. Deshalb müssen wir auch darüber reden, dass und wie mehr Steuermittel ins Gesundheitssystem fließen können, um damit auch die Finanzierung der Pflege zu verbessern.

Da ist die ganze Gesellschaft gefordert. Was würden Sie sich wünschen?
Andreas Cramer: Ich wünsche mir, dass Pflege in der Öffentlichkeit eine neue Wertschätzung erhält und sich das auch in Geld ausdrückt. Es geht ja nicht um riesige Summen für den einzelnen Mitarbeitenden, sondern um ein paar hundert Euro im Monat mehr. Das müssten uns die Pflegenden einfach wert sein!

Foto: Diakoniewerk Martha-Maria

Wertvolle Arbeit

Window_cleaner,_M-Palác,_Brno16 Millionen Euro sind eine Menge Geld. Die meisten Menschen werden im Lauf ihres Berufslebens nicht annähernd so viel verdienen.
Martin Winterkorn, der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, hat diese Summe im vergangenen Jahr bekommen.
Er hat vertraglichen Anspruch darauf:
VW hat – wie viele andere große Konzerne – den Gewinn kräftig gesteigert. Die Beschäftigten waren zufrieden mit Winterkorn. Alles in Ordnung also.
Vor gut einem Jahr hat die Bundesregierung Pläne vorgestellt, um Managergehälter zu begrenzen. Vielen Menschen war und ist kaum zu vermitteln, dass Konzernlenker das 400-fache eines einfachen Angestellten verdienen. Die Pläne sind auf Eis gelegt, die Frage bleibt: Was ist ein angemessener Lohn?
Das derzeitige Wirtschaftssystem ist ungerecht: Der Reichtum konzentriert sich weltweit in immer weniger Händen, die dafür oft nicht einmal arbeiten. Der große Rest tut sich auch in reichen Ländern zunehmend schwer, über die Runden zu kommen. In Washington streikten kürzlich die Küchenangestellten des Parlaments, weil viele von ihnen von ihrem Lohn nicht leben können.
Wir nehmen das meist achselzuckend zur Kenntnis – es trifft ja nur die anderen. Doch Armut trotz Arbeit ist kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles. Arbeit muss mehr wertgeschätzt werden.
Fangen wir heute an!
Volker Kiemle

Foto: Pavel Ševela / Wikimedia Commons

Kirche mit neuem Betriebssystem

Drutkowski_Frank KopieSwen Schönheit, Pfarrer der EKBO, hielt das Referat am Samstag

„Braucht die Kirche einen Systemwechsel?“ fragte Swen Schönheit (rechts) im theologischen Referat auf der NJK. Schönheit, der als Pfarrer in der evangelischen Apostel-Petrus-Gemeinde im Berliner Norden arbeitet und in der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche als theologischer Referent tätig ist, übertrug dafür ein technisches Bild aus der Computertechnik auf die Kirche: „Wenn das Betriebssystem kaputt ist, dann nützen die besten Programme nichts. Deshalb müssen wir das Betriebssystem für unsere Arbeit genauer in Augenschein nehmen.“

Chancen in der Krise: „Wir müssen uns bekehren“

Offensichtlich befänden sich die Kirchen in Deutschland in einer Krise. Sie seien immer weniger in der Lage, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Das mache sich als „Strukturkrise, Akzeptanzkrise und als Relevanzkrise“ bemerkbar. Die Strukturkrise zeige sich darin, dass Kirchengebäude und kirchliche Strukturen immer weniger bezahlbar seien und Pastorinnen und Pastoren „Mangelware“ seien. Zudem seien die Kirchen immer weniger akzeptiert als Ansprechpartner der Menschen für ihre spirituellen und religiösen Fragen. Außerdem verliere die Kirche nach und nach ihre eigene Identität. Deshalb sei sie kaum noch relevant in der Wahrnehmung der Menschen.

Krisen bergen aber auch Chancen. Jesus baue seine Gemeinde auch heute noch, und er habe ihr auch heute noch etwas zu sagen. Es stelle sich dabei die Frage: „Hören wir, was Jesus heute seiner Gemeinde sagt?“ Vielleicht müsse sich „gar nicht die Welt bekehren, sondern wir!“. Es sei Zeit für einen grundlegenden Systemwechsel, „nicht um die Gemeinden der Zeit anzupassen“, so Schönheit, „sondern um sie Jesus zurückzugeben, damit er sie neu bauen könne“. Dafür sei ein Systemwechsel nötig, indem Gemeinden sich nach außen orientieren und konsequent „missional“ leben. Außerdem müsse der Fokus der Gemeindearbeit auf Vervielfältigung statt auf Versorgung liegen. Das gelinge, wenn Gemeinde ihre Hoffnung nicht auf Eigenleistung setze, sondern auf den Heiligen Geist.

Pastor Frank Drutkowski hob in seiner Bibelarbeit über die Erzählung des „Brotwunders“ (Markus 6,30-44) hervor, dass das Wunder selbst nicht genau beschrieben werde. Voraussetzung dafür sei aber, dass die Jünger alles bei Jesus abgäben, was sie in der Hand hätten. Eine Gemeinde müsse alles abgeben und Jesus hinhalten, damit er sie neu in Dienst nehmen könne. Jesus lege das Brot dann gebrochen in die Hände der Jünger zurück. Das Wunder geschehe im Moment der Verteilung und sei eine Aufforderung, zu geben, was wir im Moment noch nicht haben.

Uwe Hanis

Kirche im Sinkflug?

Tagung der Norddeutschen Jährlichen Konferenz in Berlin-Lankwitz 9. bis 11. April 2015 Eroeffnungsgottesdienst

Ist die NJK bald pleite? So schlimm ist die Lage nicht, aber sie ist ernst. Darauf hat der Schatzmeister der Konferenz, Andreas Kraft, hingewiesen. “Das was wir jetzt machen, ist im Grunde ein Substanzverzehr, den wir versuchen in eine ordentliche Bahn zu lenken“, sagte er bei der Vorstellung des Haushalts am 10. April in Berlin. Ein Problem sei, dass keine Einigkeit über die Gründe der Krise bestehe. Für ihn sei das auch eine geistliche Frage. Doch wenn man das anspreche, gebe es sofort Einwände. “Wir haben uns eine Arbeitsweise angewöhnt, in der wir uns die Verantwortlichkeiten gegenseitig zuzuschieben.” Kraft sieht die EmK im Norden im Sinkflug. Alle sähen es, keiner wisse aber, wie man die Lage verbessern könne. Es gebe auch keine Veränderungsbereitschaft.

Sein Vortrag löste eine lange Debatte aus. Vor allem die Frustration, die aus Krafts Worten sprach, löste Betroffenheit aus. Es sei erschreckend, dass die Finanzen die Arbeit bestimmen, sagte Friederike Meinhold. Dabei sollten die Finanzen die Arbeit ermöglichen und unterstützen. Ihr Fazit: “Die Finanzen sind nicht das Problem, sondern die Inhalte. Die müssen bestimmen, was wir tun!”

Gabriel Straka, designierter Superintendent des Berliner Distrikts, betonte dagegen, der Sinkflug sei in den letzten Jahren deutlich abgefedert worden. Es sei viel erreicht worden und man dürfe die vielen kleinen Schritte nicht gering schätzen. Verschiedene Redner plädierten auch dafür, Gemeinden mehr in die´Verantwortung zu nehmen – auch finanziell. Dagegen forderte Andreas Kraft, den Druck nicht bei den Gemeinden zu erhöhen, sondern bei den Leitungsverantwortlichen. “Wir müssen viel unternehmerischer Denken. Jeder Pastor muss sich zumindest vornehmen, die Einnahmen zu erhöhen.“

Volker Kiemle