Monthly Archives: Juli 2015

Wenn die Angst regiert

»Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft« – unter diesem Titel steht im Internet eine Karte, auf der alle bestehenden und geplanten Asylbewerberunterkünfte in Deutschland eingetragen sind. Nutzer sind aufgerufen, fehlende Adressen zu ergänzen.
Nun sind die Standorte nicht geheim; Anwohner werden immer informiert, wenn eine Unterkunft eingerichtet werden soll. Dennoch zeigt die Karte, dass Fremdenfeindlichkeit in unserem Land längst eine besorgniserregende Qualität erreicht hat. Aus fremdenfeindlichen Worten werden mehr und mehr Taten. In Freital nahe Dresden marschieren seit Wochen Asylgegner vor die Asylantenunterkunft am Ort. Am 16. Juli brannte im oberbayerischen Reichertshofen eine geplante Unterkunft für Asylbewerber nieder. Auch sie war auf der erwähnten Karte eingezeichnet. Eine diffuse Angst vor Fremden treibt die »Pegida«-Anhänger seit Monaten auf die Straße.
Wir können nicht alle aufnehmen, sagte Kanzlerin Angela Merkel einem jungen Mädchen aus dem Libanon, das gerne hier bleiben und studieren möchte, das aber von der Abschiebung bedroht ist. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 170.000 neue Asylanträge gestellt. Selbst wenn wir so viele Menschen in den nächsten 30 Jahren jährlich aufnähmen, würde die Bevölkerung Deutschlands schrumpfen – und damit unser Wohlstand. Angst ist da ein schlechter Ratgeber.
/kie

Die Kirche als Spiegel der Gemeinde

Wenn Gemeinden kleiner werden, werden Kirchen und Gemeindehäuser
zur Last. Spätestens dann stellt sich die Frage, wie viele Kirchengebäude
ein Bezirk braucht – und wo dieser Bau stehen soll. In Herrenberg hat
man den Schritt gewagt und drei Gemeinden zu einer an einem neuen
Standort vereinigt. Ich habe die neue Christuskirche besucht
und mich mit Pastor Alfred Schwarzwälder unterhalten.

Wie in vielen Bezirken der EmK wurde auch in Herrenberg_002Herrenberg schon seit Jahrzehnten darüber diskutiert, ob die drei Bezirksgemeinden nicht besser an einem zentralen Ort zusammenkommen sollen. Drei Gebäude, darunter die zentral gelegene Christuskirche von 1897, zu unterhalten, war schlicht zu teuer geworden. Kurz vor der Jahrtausendwende wurde es dann schließlich konkret: Die Gemeinden Affstätt, Herrenberg und Kuppingen beschlossen zu fusionieren und an einem neuen Standort zu bauen. Nach einer intensiven Planungs- und Bauphase konnte die neue Christuskirche am 1. März dieses Jahres eingeweiht werden (siehe »unterwegs« 7/2015).
Der Weg dorthin war nicht einfach: Zunächst wurde überlegt, die alte Christuskirche zu sanieren. »Aber die Mehrheit der Gemeinde kam zu der Überzeugung, dass es sinnvoller und besser kalkulierbar ist, wenn man neu baut«, sagte Pastor Alfred Schwarzwälder. »Bei einer Renovierung gibt es immer Unwägbarkeiten, die Risiken wollten wir nicht eingehen.« Zudem hätten die Gemeinden in Affstätt und Kuppingen deutlich gemacht, dass sie ihre Versammlungsgebäude nicht aufgeben werden, wenn die Herrenberger Gemeinde in ihrer Kirche bleibt – sie wollten nicht bloß Zugezogene sein.
Deshalb ist Kirche weit mehr als ein Neubau: Die bereits fusionierten Gemeinden sind jetzt auch räumlich zusammengerückt. »Viele waren nicht glücklich über den Entschluss, neu zu bauen«, erzählt Schwarzwälder.
»Manche von außerhalb wollten auch partout nicht nach Herrenberg kommen – obwohl der Weg zur neuen Kirche kürzer ist als zum vorigen Versammlungsraum.«

Herrenberg_003
Kunst im Kirchenraum ist wichtig, sagt Pastor Alfred Schwarzwälder

Endlich zusammen
Aber seit die neue Kirche steht, seien diese Bedenken und Vorbehalte verschwunden. »Die Gemeinde hat die Vorteile erkannt. Zuvor hatten wir fast zehn Jahre Gottesdienste an wechselnden Orten, die Gemeinde war fast nie komplett versammelt «, berichtet der Pastor. Der Zusammenhalt und das Zusammengehörigkeitsgefühl seien jetzt viel größer. »Die wöchentliche Begegnung tut uns gut, und vieles ist einfacher zu organisieren.« Schwarzwälder hat beobachtet, dass sich die Atmosphäre in der Gemeinde wesentlich verbessert hat.
Das könne auch auf die Umgebung ausstrahlen. »Für Menschen, die Nähe im Gottesdienst suchen, sind wir hier sicher die Top-Adresse«, sagt Schwarzwälder.
»Bei uns kann man seine persönliche Frömmigkeit entwickeln.«

Wie viel Kirche braucht die Gemeinde?
Aber wie viel eigene Immobilie braucht eine Gemeinde? Schließlich haben auch schon einige EmK-Gemeinden ihre Kirchengebäude aufgegeben und sich in Ladenlokale oder bei anderen Kirchen eingemietet. In Minden etwa trifft sich die EmK im Haus der Landeskirchlichen Gemeinschaft und feiert regelmäßig mit dieser Gemeinde Gottesdienst. Die Kreuzkirche in Mönchengladbach-Rheydt ist seit 2012 ein alevitisches Gebetshaus; die EmK-Gemeinde ist im Bezirk Rheinland aufgegangen.
Für Alfred Schwarzwälder ist die örtliche Situation entscheidend. Ist ein eigenes Gebäude eine Last? Ist es zu groß, zu teuer, renovierungsbedürftig? Dann könne auch mieten eine Lösung sein. Aber die Herrenberger hätten auch die Erfahrung des »zu Gast Seins« gemacht, weil sie während der Bauzeit in der katholischen Kirche Gottesdienste gefeiert haben. »Es war auch anstrengend, sich nicht nach eigenen Vorstellungen einrichten zu können und wir sind froh, dass wir jetzt wieder im eigenen Gebäude sind«, sagte der Pastor.

»Der Glaube sucht sich Formen – auch im Gebäude«
Ein sakrales Gebäude hält er aber für unabdingbar – nicht als Voraussetzung, sondern als Folge des Glaubens.
Letztlich suche sich der Glaube Formen und Gestalten, die sich auch im Gebäude ausdrücken. Ein Beispiel sei die Herrenberger Jugendkirche, die nach 30 Jahren aus einem Ladenlokal in die mittelalterliche Spitalkirche umziehe – ein Ort mit spiritueller Ausstrahlung.
»Viele Menschen suchen solche Orte – man schaue nur auf den großen Zulauf, den Klöster derzeit haben.« Auch für das neue Herrenberger Gotteshaus, das ein recht sachlicher Bau ist und nicht sofort als Kirche zu erkennen, hat Schwarzwälder noch Ideen – etwa einen Platz, wo man Kerzen anzünden kann.
Für die künstlerische Ausstattung der Christuskirche hat sich Schwarzwälder mit dem Tübinger Künstler Martin Burchard intensiv auseinandergesetzt.
Letztlich ist eine Gesamtlösung entstanden, bei der die verschiedenen Kunstwerke miteinander in Beziehung stehen: Der an der Stele vor der Kirche dargestellte Weg von Kreuzigung zu Auferstehung setzt sich im Innenraum mit den Wandfiguren hinter dem Abendmahlstisch fort.Herrenberg_001
Diese bewusste Gestaltung sei wichtig, sagt Schwarzwälder. »Die Gemeinde spiegelt sich im Gebäude wider. Wenn es zum Beispiel unaufgeräumt ist, dann zeigt das auch etwas vom Gemeindeleben.« Zwar sei Glaube etwas Praktisches, habe aber auch eine Schönheit. »Und die Schönheit des Glaubens sollte sich im Gebäude der Gemeinde widerspiegeln.« Die Gemeinde präge zwar das Gebäude, auf Dauer präge das Gebäude aber auch die Gemeinde.
Aus der alten Herrenberger Kirche ist übrigens ein Kleinkunsttheater mit Restaurant geworden – eine stimmige Nutzung, wie Schwarzwälder sagt. Und die EmK ist nicht ganz draußen: Gelegentlich treffen sich dort Gemeinde-Mitarbeiter zu Besprechungen. /kie

www.emk-herrenberg.de

Ins Gewissen reden

Seit Monaten immer wieder die gleichen Bilder: Ein siegesgewisser griechischer Regierungschef auf der einen, ernste bis drohende Gesichter von Angela Merkel & Co. auf der anderen Seite. Angesichts des fortwährenden Dramas um die Schulden Griechenlands könnte man meinen, Europas Politiker seien Tag und Nacht mit nichts anderem beschäftigt. Tatsächlich aber gibt es viele andere Themen, die aber im medialen Dauerfeuer untergehen: Wettbewerbsfragen, Umwelt- und Verbraucherschutz, Verkehr, Wirtschaftsverhandlungen – Europas Staatschefs haben viel zu tun. Die Bilderflut blendet aber auch aus, dass in Griechenland inzwischen viele Menschen existenziell unter der Politik leiden. Armut ist in die Mittelschicht vorgedrungen, immer mehr können ihre Mieten nicht mehr bezahlen und drohen auf der Straße zu landen. Viele Kinder haben kaum zu essen. Das Gesundheitssystem liegt am Boden, wer krank ist, hat ohne viel Geld schlechte Karten. Ein Mitglied der Europäischen Union wird vor unseren Augen zum Entwicklungsland.
Anstatt diese Nöte in den Blick zu nehmen, schauen die internationalen Geldgeber ausschließlich auf »die Märkte«. Alles wird an möglichen Reaktionen der Börsen ausgerichtet, Kursveränderungen im Promillebereich sorgen für gewaltige Unruhe.
Diese Politik sorgt weltweit dafür, dass die Reichen immer reicher werden – während die Armut zunimmt. Das ist nicht zukunftsfähig, weil es den sozialen Frieden gefährdet. Denn es wird der Tag kommen, an dem sich die Armen dieser Erde auflehnen.
Deshalb müssen wir alle unseren Politikern ins Gewissen reden: Politik ist nicht nur für Vermögende da, sondern für alle Menschen. /kie
PS: Angela Merkels Terminkalender ist hier zu finden:
http://goo.gl/rrKGT2