Er hat die »Jesus Freaks« gegründet, ist als Prediger unterwegs und hat mit der »Volxbibel« eine Bibel in Jugendsprache vorgelegt. Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen. Doch Martin Dreyer geht Streit nicht aus dem Weg. Auch sein neues Buch »Der vergessene Jesus« bietet Angriffspunkte. Im Gespräch mit Volker Kiemle erklärt er, warum ein falsches Jesus-Bild für leere Kirchen sorgt.
Herr Dreyer, warum haben Sie gerade jetzt ein Buch über Jesus veröffentlicht?
Martin Dreyer: Ich wurde letztes Jahr zu Weihnachten gebeten, den Leitartikel für ein recht bekanntes politisches Magazin zu schreiben. In diesem Artikel habe ich Seiten von Jesus herausgestellt, die in dem Bewusstsein der meisten Menschen nicht vorhanden sind. Und das, obwohl sie in der Bibel vorkommen. Jesus, der bereits betrunkenen Partygästen noch mehr Alkohol besorgt. Jesus, der aggressiv mit einer Waffe in der Hand im Tempel die Tische der Händler umtritt. Jesus, der ein völlig neues Gebot des »Nicht-Sorgen-Dürfens« aufstellt, an das sich bis heute kaum ein Christ hält. Das Gütersloher Verlagshaus, welches zu Random House gehört, hat den Artikel gelesen und mich gefragt, ob ich aus dem Thema ein ganzes Buch machen könnte. Und das konnte ich.
Viele Autoren vor Ihnen haben schon einen »anderen Jesus« gezeichnet – »Jesus liebt mich« von David Safier, »Jesus Menschensohn« von Khalil Gibran oder die mehrbändige Jesus-Enzyklopädie von Papst Benedikt XVI. Nicht zu vergessen Franz Alt mit »Jesus, der erste neue Mann«. Was unterscheidet Ihr Buch von den anderen?
Martin Dreyer: David Safier macht sich ja eher lustig über Jesus. Papst Benedikt hat ein wahres theologisches Meisterwerk geschrieben, was aber kein normaler Mensch wirklich ganz versteht. Ich habe mich in dem Buch eines neuen Sprachstils bedient. Ich wollte mit kurzen, knalligen Sätzen ein Bild von Jesus zeichnen, das so keiner bis jetzt zu Papier gebracht hat. Jesus, der als erstes Wunder nach Johannes eine Party rettet. Und zwar mit 600 Litern Alkohol zu einem Zeitpunkt wo die Hälfte der Gäste schon im Vollrausch war. Das ist doch auch eine Aussage. Jesus scheint nichts gegen feiern, Partys und auch nichts gegen Alkoholgenuss zu haben. Zumindest so lange es nicht krankhaft und süchtig passiert. Das finde ich interessant.Warum ist das noch nicht bis in alle Kirchen durchgedrungen?
Für wen ist das Buch gedacht?
Martin Dreyer: Das Buch ist gedacht für Menschen, die schon irgendwie an den christlichen Gott glauben, aber ein schräges Gottesbild haben. Beim Schreiben kamen mir dabei Christen aller Konfessionen in den Sinn. Ich bin in den letzten 25 Jahren meines Dienstes in fast jede Konfession eingeladen worden und habe dabei eine Menge beobachten können. Überall erlebe ich ein verzerrtes, krampfiges und viel zu moralisches Christentum, ohne viel Freude. Aber bei Christus kann ich von all dem nicht viel entdecken.
Welche Reaktionen haben Sie schon bekommen?
Martin Dreyer: Viele schreiben, das Buch sei starker Tobak und sie müssten über die Thesen erst einmal nachdenken. Die Rezensionen wirken sehr verhalten und differenziert. Ich glaube, viele haben Angst davor, sich zu bestimmten Positionen öffentlich zu outen. Denn es könnte für sie persönlich negative Konsequenzen haben, zum Beispiel im Beruf.
Gerade was den Bereich Sexualität angeht. Dabei will ich ja keine neuen Dogmenlehre entwerfen. Ich möchte Menschen nur dabei helfen, ihren Glauben in eine neue Freiheit zu bringen. Und ich will versuchen neue Denkanstöße zu geben.
Warum gehen Sie so ausführlich auf die Sexualität ein, obwohl wir da am wenigsten über Jesus wissen?
Martin Dreyer: Sexualität ist doch allgegenwärtig. Und in den Gemeinden, egal ob freie oder landeskirchliche, ist es überall Thema. Zumindest hinter verschlossenen Türen. Pfarrer, Pastoren und Pastorinnen werden gefeuert wegen sexueller Beziehungen. Seelsorger oder Lobpreisleiter beiden Geschlechts outen sich als homosexuell und werden prompt ihres Dienstes enthoben. Ich höre das überall. Aber auch in sehr vielen Jugendgottesdiensten, in denen ich predigen darf, kommen danach Jugendliche, die eine Beichte von sexuellen Sünden bei mir ablegen wollen. Und genau das ist der Punkt: Wir haben uns eine christliche Sexualmoral geschaffen, ohne dass wir Christus dazu befragt haben. Ich hörte im Dienst auch mehrfach von jungen Männern, die sich ihr Genital abschneiden wollten, weil sie es mit der gängigen christlichen Sexualmoral nicht in den Griff bekamen. Übrigens auch von Frauen. Das muss man sich mal vorstellen. Mir war es wichtig, in dem Kapitel zuerst nur positiv über dieses Thema zu schreiben.
Was heißt das?
Martin Dreyer: Der Evangelist Johannes erwähnt, dass Jesus von Anbeginn der Schöpfung dabei war. Paulus bestätigt dies im Kolosserbrief noch einmal: »Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen worden …« (Kolosser 1,16). Also hat er auch die Sexualität erschaffen. Sexualität ist etwas Göttliches, etwas nur Gutes, ein Riesengeschenk, das Jesus uns gemacht hat. Wir sollten als Jesusnachfolger mehr darüber nachdenken, wie wir dieses Geschenk in dankbarer Weise auspacken, ausleben und genießen können. Wir wissen, dass Jesus ein normaler Mann war. Er hatte alle menschlichen Bedürfnisse, die die Wissenschaft heute kennt. Ich finde es vollkommen abwegig zu glauben, dass Jesus nicht auch sexuelle Gefühle kannte. Auch wenn er sie vielleicht nie mit einem Menschen ausgelebt hat. Er war doch der Immanuel, »Gott mit uns« (Jesaja 7,14), »Das Wort wurde Fleisch« (Johannes 1,14). Überall wo ich das sage, schreien Christen auf. Vielleicht auch, weil Jesus ihnen plötzlich zu nahe kommt. Nicht nur ins Herz, sondern auch in die Hose.
Jesus könnte gekifft haben, schreiben Sie. Warum ist das wichtig?
Martin Dreyer: Auch hier geht es mir vor allem um einen lebensbejahenden Jesus. Ich glaube, dass Jesus ein sehr fröhlicher Mensch gewesen ist, dass er oft gelacht hat, dass er das Leben genossen hat, dass er sich gefreut hat und auch feiern konnte. Ob Jesus nun gekifft hätte, weiß ich natürlich nicht. Aber er hat definitiv Wein getrunken, das wissen wir aus der Heiligen Schrift. Er wurde sogar als Weinsäufer beschimpft. Jesus war kein Asket. Jeder der Wein trinkt weiß, dass schon nur ein Glas einen kleinen Rausch auslöst. Das muss bedeuten, dass auch der Gottessohn Rausch gekannt haben muss. Rausch an und für sich ist nichts Sündiges. Die Jünger in der Apostelgeschichte werden ja sogar beim Kommen des Geistes von Außenstehenden als berauscht wahrgenommen (Apostelgeschichte 2,13). Ich schreibe aber auch über Sucht als tödliche Krankheit, die immer eine lebensbedrohende Gefahr für süchtige Menschen darstellt. Wer suchtkrank ist, sollte nicht kiffen und auch keinen Alkohol trinken. Jesus hat alle Krankheiten geheilt.
Sie stellen den Lesern »Jesus als Freak« vor. Wie viel Martin Dreyer steckt in Ihrem Bild von Jesus?
Martin Dreyer: Zuerst stelle ich Jesus als einen normalen Menschen vor, der aber auch gleichzeitig Gottes Sohn ist. Doch mit seinen Worten und Taten würde man ihn heute wohl auch als Freak bezeichnen können. Mein persönliches Bild von Jesus hat sich in den letzten 33 Jahren stetig gewandelt. Ich glaube, das ist auch normal und gesund. Dabei habe ich nie versucht, mir einen Jesus so basteln, wie er gerade in mein Leben passt. Die Veränderung meiner Gottesvorstellung hatte stets mit regelmäßigem und auch zunehmend kritischem Bibelstudium zu tun. Viele der Gedanken aus dem Buch sind aber auch im täglichen Erleben Gottes, in hunderten Gesprächen mit Christen und Nichtchristen erwachsen. Dazu kommt eine intensive Beschäftigung mit der Kirchengeschichte und anderen Dingen.
Welche Frage hat Sie dabei am meisten umgetrieben?
Martin Dreyer: Sehr stark hat mich die Frage beschäftigt, warum die Kirche in Deutschland zur Zeit langsam stirbt. Wachstum passiert nur noch durch eigene Kinder und vielleicht durch ein paar Flüchtlinge. Neue Gemeinden profitieren von Christen aus anderen Gemeinden. Da ich den Glauben an Jesus als die schönste und glücklichste Erfahrung meines Lebens erlebt habe, kann ich das nicht verstehen. Und ich kam auf die Frage, ob dies vor allem mit einem falschen Jesusbild zu tun hat, mit einer falschen Darstellung von dem, wie es ist, ein Christ zu sein. Ich habe im Laufe der Jahre sehr viel Weite bei Gott erfahren. Jesus ist nicht so leicht zu fassen, wie wir es vielleicht glauben. Die Gotteserkenntnis hat nie ein Ende, wenn man sich wirklich ganz auf ihn einlässt.
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